Update (21.03.2023): Das Open Peer Review zu dieser Einreichung ist abgeschlossen. Auf Grundlage des Open Peer Reviews wurde der Artikel zur Veröffentlichung im Journal für Medienlinguistik angenommen und ist abrufbar unter: https://doi.org/10.21248/jfml.2019.43.
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Diese Einreichung ist ein Beitrag zum Themenheft „Mobile Medienpraktiken im Spannungsfeld von Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität“.
Blogstract zu
Mobile Medienpraktiken im Spannungsfeld von Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität
von Katharina König und Florence Oloff
Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, Privatheit, Öffentlichkeit und Anonymität als medienlinguistische Beschreibungsdimensionen zu konturieren, die nicht schlicht durch die sich entwickelnden Technologien oder Kommunikationsformen vorgegeben sind, sondern von den NutzerInnen ausgedeutet und insbesondere in der Interaktion in und mit mobilen Medien hergestellt werden. Der Beitrag bietet einen Überblick über die Erforschung mobiler Medienpraktiken, in dem die relevante und zugleich problematische Abgrenzung von Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität herausgestellt wird. Im Fokus stehen dabei zwei bisher überwiegend getrennt untersuchte Bereiche mobiler Kommunikation: Einerseits der Gebrauch persönlicher mobiler Endgeräte im öffentlichen Raum, andererseits die mobile Kommunikation privater Inhalte in den sozialen Medien.
Lag in den Anfängen der Verbreitung mobiler Geräte noch deren öffentlich sichtbare Handhabung und die Aushandlung verschiedener Kommunikationsräume bzw. deren Störungen im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses, so verschob sich die Perspektive – zeitgleich mit einer Vervielfältigung der Trägermedien, Netzwerke und Applikationen – immer mehr hin zu einem Fokus auf digital hergestellte, versendete und veröffentlichte Kommunikate.
Der Beitrag führt analytische Ansätze aus beiden Forschungsfeldern zusammen und reflektiert daher Ergebnisse aus soziologisch-ethnographischen, (interaktions)linguistischen sowie medienwissenschaftlichen Untersuchungen in Bezug auf Praktiken der Herstellung von Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität. Sowohl on- als auch offline wird eine zunehmende Vermischung von „öffentlichem“ und „privatem“ Handeln festgestellt, sodass wiederholt konstatiert wird, dass sich die scheinbar ausschließenden Kategorien zunehmend vermischen und ihre Grenzen verwischen (Abschnitt 1.). Abschnitt 2 gibt zunächst einem Überblick zu Studien, die sich mit der „privaten“ Kommunikation mit Mobiltelefonen im öffentlichen Raum befassen. Abschnitt 3 reflektiert den Einfluss mobiler Medien auf die zunehmende Veröffentlichung privater Inhalte in sozialen Medien. Am Beispiel neuer mediatisierter Praktiken im Umgang mit Krankheit, Tod, Trauer und persönlichen Streitigkeiten zeigt sich zwar, dass das Smartphone in bislang nicht zugängliche Bereiche Einzug hält, gleichzeitig aber auch verschiedene Praktiken der Anonymisierung zum Einsatz kommen, die die Identifizierbarkeit von Personen zumindest in Teilen regulieren.
Abschnitt 4 konzentriert sich daher anschließend auf Beispiele multimodal-kommunikativer mediatisierter Praktiken, mit denen Öffentlichkeit, Privatheit sowie Anonymität bzw. Identifizierbarkeit von den NutzerInnen hergestellt werden. Zeit- und ortsungebundene Kommunikationsmöglichkeiten sind nicht per se „privat“ oder „öffentlich“, sondern werden von den NutzerInnen entsprechend gerahmt. So kann Privatheit beim mobilen Telefongespräch durch die Einnahme bestimmter Körperhaltungen geschaffen werden, durch Mimik und Gestik aber auch Beistehenden zugänglich gemacht werden. Beiträge in sozialen Medien können durch Zugangseinstellungen oder spezifische in-group-adressierte Kommentare „privatisiert“ oder „öffentlicher“ werden. Diese vielfältigen Praktiken zeigen also keine Auflösung der Kategorien Öffentlichkeit, Privatheit oder Anonymität auf, sondern illustrieren, wie diese auf neue Weise situativ verhandelt und gegeneinander abgegrenzt werden. Somit fordert dieser Beitrag abschließend (5.) zu einer medienlinguistischen Heuristik auf, die kommunikative Praktiken zu ihrem Gegenstand macht, mit denen Privatheit bzw. Nicht-Privatheit im (nicht/semi)-öffentlichen Austausch in und mit mobilen Medien kontextualisiert wird.
Der Beitrag behandelt ein Thema, zu dem es bereits viele Studien gibt. Es geht um das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit – und zwar sowohl im Internet (wie z.B. auf Facebook) als auch im physischen Raum (wie z.B. im Restaurant) – und um die Verschränkung beider Räume (wie z.B. bei der Kommunikation über WhatsApp während eines Face-to-Face-Gesprächs). Hinzu kommen Überlegungen zur Herstellung von Privatheit, Öffentlichkeit und Anonymität resp. Identifizierbarkeit und den kommunikativen Praktiken, die Nutzer*innen einsetzen, um ihre Handlungen entsprechend zu rahmen. Diese Aspekte behandeln die Verfasserinnen im zentralen Kap. 4, in den vorangehenden Kapiteln bieten sie einen Überblick über den Forschungsstand zum Thema Privatheit und Öffentlichkeit und diskutieren damit verbundene Fragen. Allerdings bekommt der Text dadurch, dass einige dieser Punkte sowohl in den Kap. 1 bis 3 als auch in Kap. 4 (wenn auch unter anderer Perspektive) behandelt werden, etwas repetitiven Charakter. Auch in Kap. 5 wird die Frage nach dem Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit und einer adäquaten Begriffsfassung nochmals aufgenommen. Die Verfasserinnen schliessen ihren Beitrag damit, dass sich ein „Desiderat an Untersuchungen zu Praktiken ableiten [lässt], mit denen Privatheit bzw. Nicht-Privatheit im (nicht- bzw. semi)-öffentlichen Austausch mit und über mobile Medien kontextualisiert wird“ (Zeile 768 ff). Wie solche Untersuchungen aussehen könnten, wird nicht dargelegt. Was die Anonymität betrifft, die im Titel ebenfalls als Stichwort erscheint, so gehen sie auf dieses Konzept – von einigen Zeilen in Kap. 1 (Zeile 55-71) abgesehen – nur in Kap. 4.3 ein. Es ist deshalb zu überlegen, ob der Titel des Beitrags geändert werden sollte.
Zu den einzelnen Kapiteln:
In Kap. 1 wird in die Unterscheidung von Privatheit und Öffentlichkeit eingeführt. Die These, dass in sozialen Netzwerken immer mehr Privates an die Öffentlichkeit gelangt, wird hier zugespitzt zu der Aussage: „Mitunter kann infrage gestellt werden, ob es überhaupt noch eine Sphäre des Privaten gibt, die nicht mit der mediatisierten Öffentlichkeit geteilt werden kann“ (Zeile 38-40). Das ist wenig plausibel (und wird auch nicht plausibel gemacht), die Aussage wird von den Verf. denn auch selbst aber weiter unten, am Ende von Kap. 3, zurückgenommen.
Kap. 2 legt den Schwerpunkt auf die Nutzung „individueller Kommunikationsmedien“ (sprich: auf das Handy) im öffentlichen Raum. Hier wird die Entwicklung von der anfänglichen Nutzung des Mobiltelefons bis zur heutigen Situation (z.B. mit „Videogesprächen on the go“) skizziert, ergänzt um Hinweise auf medienlinguistische Arbeiten, die sich mit dieser Thematik und den damit verbundenen Etikette-Fragen befassen (z.B. Höflich, Lasén). Auch soziologische Aspekte werden eingebracht, so dass das Kapitel insgesamt an der Schnittstelle von Medienlinguistik und Soziologie steht und gerade dadurch informativ ist.
In Kap. 3 werden die vorangehend behandelten Themen zusammengeführt (was einleitend gesagt werden sollte). Wieder geht es um das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit, das mit der Nutzung von Smartphones nochmals eine neue Dimension erfährt (z.B. durch das Posten von Funeral Selfies). Hier zeigen sich auch erste Redundanzen: Zum einen wird hier nochmals gefragt, ob „die Sinnhaftigkeit von Inhalten als ‚privat‘ in Frage gestellt werden muss, wenn es scheinbar keine Inhalte mehr gibt, die nicht online verhandelt werden können (270ff.), zum anderen wird darauf verwiesen, dass das „öffentlich Geteilte privat gerahmt und behandelt werden kann“ (Zeile 282f.). Der erste Punkt wurde schon in Kap. 1 angesprochen, der zweite Punkt ist Gegenstand von Kap. 4.
Kap. 4 ist das Kernstück der Arbeit und das einzige, das weiter untergliedert ist. Zu Beginn folgt nichts Neues; der lange Abschnitt, der vor Kap. 4.1 steht, sollte deshalb gekürzt werden. Dieser Abschnitt endet mit einem Verweis auf die folgenden drei Unterkapitel (Zeile 348–355) – und diese Kapitel sind es, die interessante neue Aspekte bringen. So wird gezeigt, wie der Grad an Öffentlichkeit (= Zugänglichkeit) im Internet ausgehandelt werden kann und wie das Handy im physischen Raum zu „einem öffentlichen sozialen Objekt“ wird (Kap. 4.1). Kap. 4.2 ist gewissermassen die Umkehrung davon, hier geht es um die Herstellung (Inszenierung?) von Privatheit im virtuellen und im physischen Raum. Gut ist, dass hier auch anschauliche Beispiele gegeben werden (z.B. der Verweis auf eine bestimmte Körperhaltung, die den Rückzug mit dem Handy anzeigt). In Kap. 4.3 wenden sich die Verfasserinnen der Frage zu, welche Möglichkeiten es zur Herstellung von Anonymität und Identifizierbarkeit in sozialen Netzwerken gibt. In diesem Abschnitt werden in loser Reihenfolge viele verschiedene Punkte angesprochen (vom Jodeln über Cybermobbing, vom Hochladen von „dick pics“ bis zum Subtweeting). Der Abschnitt sollte etwas besser strukturiert werden, man verliert so schnell den roten Faden.
Im Schlusskapitel 5, „Medienlinguistische Desiderate“, ist die Überschrift zu eng gefasst, nur in den letzten beiden Sätzen geht es um Desiderate. Im Zentrum steht wieder die Frage nach einer adäquaten Begriffsbestimmung von Privatheit und Öffentlichkeit. Wichtig ist der anschliessende Hinweis darauf, dass die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Kommunikationspraktik „die Sozialität der Gruppe aufrecht erhalten kann“ (Zeile 759f.). Das zeigt sich z.B. darin, dass private Erzählungen gerade nicht auf Facebook, sondern im WhatsApp-Chat gepostet werden. Und das gilt auch für die Smartphone-Nutzung im Face-to-Face-Gespräch – auch darauf weisen die Verfasserinnen zu Recht hin. Wovon hängt es z.B. ab, wem man sein Handy in die Hand gibt und wen man darauf navigieren lässt? Dieser Frage wird nicht mehr nachgegangen, sie gehört zu den angekündigten Desideraten.
Gesamteinschätzung:
Der Beitrag bietet viele gute Reflexionen rund um das Thema Öffentlichkeit und Privatheit (inkl. sehr vieler Literaturhinweise), er wirkt aber etwas überladen. Insgesamt sollte der Text gestrafft, Wiederholungen vermieden und Hinweise zur Zielsetzung und zum Aufbau bereits an den Anfang gestellt werden. Derzeit findet man solche Informationen erst am Ende von Kapitel 1. In formaler Hinsicht sind einige Korrekturen (Trennungen usw.) erforderlich, die Anmerkungen dazu habe ich direkt in die Datei eingefügt. An einigen Stellen gleiten die Ausführungen ins Theoretisch-Jargonhafte ab (siehe dazu auch meine Anmerkungen im PDF), einiges lässt sich klarer ausdrücken (z.B. „Während einige NutzerInnen affiliativ auf die Veröffentlichung reagieren und die emergierende Entwicklung der Narration damit befördern“, Zeile 530f.). Zum Sprachlichen sei angemerkt, dass durch die häufige Verwendung bestimmter Adverbien und Konjunktionen (z.B. jedoch, so, derweil, daher, somit, also) logische Bezüge hergestellt werden, wo es keine gibt. An anderer Stelle fehlen Überleitungen zwischen einzelnen Abschnitten, auf mehr Leserfreundlichkeit sollte geachtet werden. Der Beitrag kann nach entsprechender Überarbeitung zur Publikation angenommen werden.
Dieses als Einleitung zu einem Themenheft konzipierte Diskussionspapier greift Konzepte auf, die im Kontext zunächst der «Neuen Medien», dann des «Web 2.0» bzw. des «social web» intensiv diskutiert worden sind und werden: Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität. Wie die Autorinnen aber zurecht andeuten, handelt es sich hierbei um Phänomene, die viel grundsätzlicher mit sozialer Interaktion, mit Identitätsarbeit und mit Medialität verbunden sind und in der einen oder anderen Form wohl in jeglichem kommunikativen Austausch (wenn auch ggf. im Hintergrund) eine Rolle spielen. Andererseits ist diese Problematik als Folge der sich rasant ändernden Kommunikationstechnologien verstärkt präsent, aber eben letztlich nicht genuin an diese gebunden.
In einem ersten Teil erläutern die Autorinnen, ausgehend vom «medienwissenschaftlichen und -linguistischen Topos» (Zeile 42f.) der Vermischung von Öffentlichkeit und Privatem, wie in vorliegenden Studien diese Konzepte graduell verstanden werden, wobei sich in der Kommunikation in sozialen Medien neue Ausprägungen (auch von Anonymität) beobachten lassen. Ziel der dann folgenden drei Kapitel ist es, die im Titel genannten drei Konzepte medienlinguistisch zu konturieren, wobei diese Dimensionen «nicht schlicht durch die sich entwickelnden Technologien oder Kommunikationsformen vorgegeben sind, sondern von den NutzerInnen ausgedeutet und insbesondere in der sprachlichen Interaktion in und mit mobilen Medien hergestellt werden» (Zeilen 104-108).
Es folgen drei Unterkapitel (Kapitel 2-4): «Individuelle Kommunikationsmedien im öffentlichen Raum», «Die öffentliche Kommunikation privater Inhalte in sozialen Medien» und «Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität als Herstellungsleistung». Da es sich hier um drei verschiedene Perspektiven auf den Gegenstand handelt, hätte man sich am Ende von Kap. 1 noch eine kurze Verortung dieser Aspekte im Grossthema gewünscht.
Kap. 2 thematisiert die Nutzung mobiler Geräte im öffentlichen Raum und den entsprechenden Diskurs darüber. Die Autorinnen verarbeiten hier nicht nur (medien-)linguistische, sondern auch soziologische Literatur, die sich auch im Fall klassischer Arbeiten von Goffman oder Meyrowitz als für die vorliegenden Kontexte sehr relevant erweist. Kap. 3 geht von der Annahme aus, dass sich die «enorme funktionale Erweiterung und Verbreitung» (Zeile 231f.) des Smartphones in «veränderten Affordanzen» (Zeile 239) niedergeschlagen hat, die dann «zur Ausbildung neuer, remediatisierter Formen des Darstellens und Verhandelns privater Inhalte in den sozialen Medien geführt» (Zeilen 240-242) haben. Dieser Befund wird dann mit verschiedenen Praktiken im Umgang etwa mit Krankheit, Tod und Trauer illustriert. Dabei wird u.a. auf die Kamera heutiger Smartphones verwiesen: «Insbesondere durch ihre Kamera dringen mobile Kommunikationsmedien in Sphären ein, die bislang als intimster Bereich des nicht-öffentlichen familiären Lebens galten» (Zeilen 256-259). In diesem Zusammenhang wird dann etwas ausführlicher die Frage nach dem Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit diskutiert, wobei die Autorinnen dafür plädieren, hier keinen Gegensatz zu etablieren, sondern danach zu fragen, wie Privates (i.S.v. privaten Inhalten), das öffentlich geteilt wird, als solches gerahmt und behandelt wird. Hier werden Praktiken der Anonymisierung und Identifizierung zentral.
Kapitel 4 («Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität als Herstellungsleistung») fasst zunächst mehr oder weniger das bisher Gesagte zusammen. Neu ist hier aber die Rede von «’Kulturen’» (Zeile 326) von Privatheit, Öffentlichkeit und Anonymität. Dies ist insofern sehr passend, als es hier eben, wie die Autorinnen schreiben, im Kern immer auch um die Aushandlung von Normen und Werten geht. Zudem ist damit auch letztlich mitgemeint, dass wir es hier mit Herstellungsleistungen zu tun haben. Kapitel 4 ist im Folgenden in drei Unterkapitel gegliedert. Kap. 4.1 («Die Herstellung mediatisierter Öffentlichkeit») erläutert die «Schichtungen» (Zeile 366) virtueller Öffentlichkeit, die sich aus der Wahl von Apps und Plattformen, Datenschutzeinstellung etc., aber auch aus der Wahl gruppenspezifischer Codes ergibt. Zudem können die Geräte selbst zu «einem öffentlichen sozialen Objekt» (Zeile 423f.) gemacht werden, Telefongespräche können mit einer größeren Öffentlichkeit geteilt werden oder in der Videotelefonie kann das «Umfeld des Anrufenden ‘vor Augen geführt’» (Zeile 434f.) werden; alle diese Aspekte beziehen sich auf die Zugänglichkeit, die immer durch situierte Praktiken sozial hergestellt werden, wie die Autorinnen ausführen. Kap. 4.2 («Die Herstellung mediatisierter Praktiken») stellt – im Anschluss an Arbeiten von Dürscheid – heraus, dass die Auffassungen von Privatheit heterogen sind und sich diese nicht inhaltlich-statisch definieren lässt; zentral wird somit die Frage, was mit welchen Mitteln als privat gerahmt wird: «In einem praktikenbasierten medienlinguistischen Ansatz ist also nach den Verfahren zu fragen, mit denen NutzerInnen erkennbar machen, dass nur bestimmte Personen ausgewählte Inhalte veröffentlichen oder kommentieren dürfen.“ (Zeilen 483-487). Dies wird mit verschiedenen Studien illustriert, etwa zu homing blogs, Posts auf Facebook und YouTube, Twitter. In der Folge springt der Text etwas willkürlich zu einem anderen Aspekt (Mobiltelefone als involvement shields). Kap. 4.3 („Die Herstellung von Anonymität oder Identifizierbarkeit“) geht von folgendem zusammenfassenden Befund aus: „Mobile Medien, so kann auf Basis der bisherigen Befunde konstatiert werden, dringen in bislang nicht medial zugängliche soziale Situationen vor und schaffen dabei neue soziale Sphären.“ (Zeilen 579-582) Im Folgenden werden dann anhand verschiedener Beispiele (Jodel, Dating-Apps, WhatsApp etc.) neue Kontextualisierungs- und Verhandlungspraktiken von privaten Inhalten erläutert; dabei können technische Rahmenbedingungen, Ausgestaltungen von Profilen und Nicknames, die stilistische Ausgestaltung von Postings etc. alle in Bezug zur Identifizierung bzw. Anonymisierung stehen, wobei etwa im Fall von Dating-Apps einzelne Mittel gleichzeitig der Anonymisierung und Individualisierung dienen können. Es folgen Erläuterungen zum Cybermobbing, zum Subtweeting und zu Coming-Out-Videos, ebenfalls in Bezug auf dieses Spannungsfeld von Identifizierung und Anonymisierung. Wohl wird hier schön aufgezeigt, dass und wie sich Praktiken der Herstellung von Anonymität und Identität unterscheiden; es fehlt hier aber etwas die Leserführung und es stellt sich der Eindruck einer etwas beliebigen Aneinanderreihung ein.
Kap. 5 („Medienlinguistische Desiderate“) plädiert noch einmal für eine differenzierte Betrachtung der Konzepte und der Modellierung der Abhängigkeit von Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität. Öffentlichkeit und Privatheit, so die Autorinnen, stellen keine „sich ausschließenden Gegenpole“ (Zeile 741) dar, und: „Privatheit und Öffentlichkeit müssen in ihrer jeweiligen medialen Vermittlung erfasst werden, sind durch diese aber nicht vollständig determiniert.“ (Zeilen 744- 746). So würden die drei Aspekte bei der „Wahl der Kommunikations(platt)form“ (Zeile 753f.) mitwirken, da diese je unterschiedliche Kontexte schaffen. Darüber hinaus bestehe, so die Autorinnen, ein Desiderat an Analysen entsprechender Praktiken, mit denen (Nicht-)Privatheit kontextualisiert wird.
Die Stärke des Beitrags liegt m.E. darin, dass er erläutert, dass Vorstellungen eines «blurring» von Öffentlichkeit und Privatheit nicht nur vage sind, sondern insofern falsch, als Privatheit eben auch als Kategorie verstanden werden kann (und muss), die in ihrer Rahmung und sprachlichen Bearbeitung als privat markiert werden, auch wenn sie öffentlich geteilt werden; zentral, so die Autorinnen, wird dann eine medienlinguistische Heuristik, die nach der Herstellungsleistung von Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität fragt. Es ist, so wird überzeugend argumentiert, weder so, dass sich Öffentlichkeit und Privatheit gegenseitig ausschließen, noch so, dass sie einfach zusammenfallen. Überhaupt zeigt der Beitrag, inwiefern die Konzepte Öffentlichkeit und Privatheit differenziert in verschiedenen Facetten erfasst und ausdifferenziert werden können. Allerdings bleibt der Text hier stellenweise auch eher kursorisch, was m.E. für einen Einleitungstext allerdings vertretbar ist. Die referierten Befunde wie auch die eher theoretischen und methodologischen Ausführungen werden mit einer Vielzahl aktueller Literaturhinweise gestützt.
Zwei Aspekte sollten meines Erachtens noch reflektiert werden:
1) Die Autorinnen berufen sich in ihrer Definition von «Medium» auf einen in der deutschsprachigen Medienlinguistik verbreiteten, aber sehr eingeschränkten und letztlich auch problematischen Medienbegriff: Medien werden nach Habscheid als «technische Mittel zur Herstellung, Verarbeitung, Speicherung, Übermittlung und Rezeption von Zeichen» (Zeilen 15-17) definiert. Dieser verdinglichende, technologische Medienbegriff impliziert i.d.R. auch, dass Medien bloße Hilfsmittel sind, mit denen eben Zeichen hergestellt und übermittelt werden, und zwar innerhalb eines je medienspezifischen «Möglichkeitsraums» (Zeile 336). Medien aber – so meine Auffassung in Anlehnung an Arbeiten von Jan Georg Schneider – durchformen als soziale konstituierte Verfahrensformen den konkreten Zeichengebrauch, also die Performanz, von Anfang an. Der Einfluss des Mediums geht über «die Auswahl bestimmter Apps und Plattformen für spezifische Zwecke» (Zeile 369f.) hinaus; Medien und kommunikative Praktiken sind interdependent (was sich gerade im social web gut an Fällen zeigen lässt, in denen nicht nur die technischen und strukturellen Momente von Medien die kommunikativen Praktiken durchformen, sondern auch umgekehrt kommunikative Praktiken in einzelnen Fällen zu Änderungen der Software geführt haben. Dieses Phänomen von medialer Durchformung kommunikativer Praktiken bleibt unterbelichtet, wäre aber für die vorliegenden Fragenkomplexe wichtig: Wenn Fragen der Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität potenziell immer relevant sind bzw. relevant gesetzt werden können, so wäre die Frage nach deren medialer Durchformung sehr spannend; es geht eben um eine Ausdifferenzierung der von den Autorinnen erwähnten «medialen Vermittlung». (Irritierend beim Lesen sind in diesem Zusammenhang Formulierungen, in denen Medien essentialisiert werden: Sie ‘dringen ein’ in «Sphären» (Zeile 257) oder ‘dringen vor’ in «soziale Situationen» (Z. 581); dies überrascht, wird doch ansonsten zurecht auf situierte Praktiken hingewiesen.)
2) Der Begriff der medialen Affordanzen wird eigentlich mit technisch-medialen Möglichkeitsräumen gleichgesetzt. Ich möchte hier aber – im ursprünglichen Sinn des Konzepts von Gibson – für ein relationales Verständnis von Affordanzen plädieren: Mediale Affordanzen sind nicht etwas Einseitiges, das Praktiken «in Abhängigkeit von den spezifischen medialen Affordanzen der jeweiligen Kommunikationsform» (Zeile 66-68; hier zeigt sich übrigens auch die schwierige Abgrenzung von Medium und Kommunikationsform) unidirektional prägt. Vielmehr sind es wechselseitige Bezugnahmen von Subjekt und Objekt, sie umfassen also das, was «von den NutzerInnen ausgedeutet und insbesondere in der sprachlichen Interaktion in und mit mobilen Meiden hergestellt werden» (Zeilen 106-108). Insofern haben wir es hier nicht einfach mit technisch «gegebenen Möglichkeiten bzw. Affordanzen» (Zeilen 617f.) zu tun, sondern es handelt sich dabei immer auch um ein Erkennen zur Nutzung in sozialen Zusammenhängen.
Ich empfehle den Beitrag nach einer entsprechenden (geringfügigen) Überarbeitung zur Publikation.
Wir bedanken uns bei Christa Dürscheid und Martin Luginbühl für ihre ausführlichen und konstruktiven Kommentare.
Beide Gutachten haben auf Schwächen in der globalen Struktur und Leserführung hingewiesen. Daher haben wir die Gesamtstruktur des Beitrags dahingehend geändert, dass wir die im Diskussionspapier getrennten Kapitel 2. und 3. zusammengeführt haben. Das neue Kapitel 2 rekonstruiert nun, wie sich das Verhältnis von Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität durch das Aufkommen und die zunehmende Verbreitung mobiler Medien gewandelt hat. Das neue Kapitel 3 fokussiert auf Praktiken, mit denen Kommunikation in und mit mobilen Endgeräten von den NutzerInnen als privat, öffentlich oder anonym gerahmt wird. Ferner wurde der Text auf inhaltliche Wiederholungen überprüft und gestrafft; in der Einleitung erfolgt nun eine explizite Hinführung zur Gesamtstruktur des Beitrags.
Wir gehen ebenfalls expliziter auf die von Christa Dürscheid angemerkte schwächere Position der Dimension der Anonymität ein. Auch wenn diese in der stereotypischen Dualität von Öffentlichkeit und Privatheit oft nicht ausdrücklich Erwähnung findet, haben wir uns entschieden, sie als relevante Beschreibungsdimension zu erhalten, da sie sich oftmals komplementär zu den Dimensionen der Öffentlichkeit und Privatheit verhält (siehe Kapitel 1).
Die Annahme eines möglichen Verschwindens der Privatheit in Web 2.0-Umgebungen (Gutachten Christa Dürscheid) haben wir nun deutlicher als einen in der Forschung und im Mediendiskurs wiederholt genutzten Topos gerahmt und darauf hingewiesen (insbesondere in 4.), dass sich Öffentlichkeit und Privatheit nicht ausschließen, sondern wechselseitig verknüpfte Dimensionen darstellen, die von den NutzerInnen in ihren Praktiken verhandelt werden.
Die Abschlussdiskussion im 4. Kapitel, die wir nun als „Medienlinguistische Perspektiven“ rahmen, haben wir dahingehend ergänzt, dass nun sowohl Aussagen zu einer Konzeptualisierung von Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität enthalten sind als auch Hinweise dazu, wie Praktiken in und mit mobilen Medien in Bezug zu den hierfür verwendeten Technologien im Rahmen der Medienlinguistik gewinnbringend verstanden werden sollten. Im Sinne von Martin Luginbühls Gutachten gehen wir hier zusätzlich darauf ein, dass die Dimensionen von Öffentlichkeit, Privatheit und Anonymität grundsätzlich nicht einfach als von den technischen Möglichkeiten determiniert verstanden werden müssen, sondern dass die Nutzungspraxis und Ausgestaltung der medialen Angebote in einem engen Wechselverhältnis stehen. Seinem Wunsch nach Überarbeitung folgend, haben wir in 4. nun grundsätzliche Überlegungen zu verschiedenen Auslegungen der Konzepte „Medium“ und „Affordanz“ angestellt. Im Rahmen dieser Überarbeitung von 4. wurden auch essentialistische Formulierungen zu autonom agierenden „Medien“ (s. Gutachten Martin Luginbühl) im Gesamttext getilgt.