Update (22.03.2023): Das Open Peer Review zu dieser Einreichung ist abgeschlossen. Auf Grundlage des Open Peer Reviews wurde der Artikel nicht zur Publikation im Journal für Medienlinguistik empfohlen.
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Blogstract zu
Über die Referenzfunktion von Emojis und ihre Fähigkeit, Nomen zu ersetzen. Eine empirische 🔬 zu Emojis im Deutschen
von Fabian Bross
In der deutschsprachigen Emoji-Forschung wurde immer wieder festgehalten, dass Emojis dazu verwendet werden können, um Nomen oder ganze Phrasen zu ersetzen. Konkret geht es darum dass ein Emoji wie in (1a) gezeigt ein einfaches Nomen ersetzen kann, wie in diesem Beispiel das Nomen Apfel. Außerdem sei es möglich, ein Emoji dazu zu verwenden, ein Nomen und einen Artikel zu ersetzen, wie in Beispiel (1b) illustriert. Hier ersetzt das Emoji die Phrase einen Apfel.
(1a) Bringst du wieder einen 🍎 mit?
Intendiert: ‚Bringst du wieder einen Apfel mit?‘
(1b) Bringst du wieder 🍎 mit?
Intendiert: ‚Bringst du wieder einen Apfel mit?‘
Die ersetzende Verwendung hat man „Referenzfunktion“ genannt. Dieser Aufsatz präsentiert zwei empirische Erhebungen, die zeigen, dass Emojis zwar tatsächlich Nomen in der informellen, digitalen Kommunikation ersetzen können (wie in Beispiel (1a)), dies allerdings nicht für Phrasen gilt (1b). Konkret kann ein Emoji also ein einzelnes Wort ersetzen (z. B. Apfel), aber keine komplexe Gruppe von Wörtern (z. B. ein Apfel oder der Apfel) Außerdem legen die Ergebnisse nahe, dass einzelne Emojis, anders als in der Literatur dargestellt, nur Nomen im Singular, aber nicht im Plural ersetzen können. Das Beispiel in (1b) kann also nicht mit der Bedeutung ‚Bringst du Äpfel mit?‘ verwendet werden. Stattdessen würde dies wie in (2) gezeigt zum Ausdruck gebracht.
(2) Bringst du wieder 🍎🍎 mit?
Intendiert: ‚Bringst du wieder Äpfel mit?‘
Basierend auf den Daten wird argumentiert, dass Nomen-ersetzende Emojis nicht referieren, sich also nicht direkt auf die außersprachliche Welt beziehen, und der Ausdruck „Referenzfunktion“ aufgegeben werden sollte.
Gutachten von: Steffen Pappert
Empfehlung: Anderswo erneut einreichen
Review:
Im Beitrag „Über die Referenzfunktion von Emojis und ihre Fähigkeit, Nomen zu ersetzen:
Eine empirische 🔬 zu Emojis im Deutschen“ wird zu klären versucht, „ob es tatsächlich möglich ist, dass ein Emoji eine ganze DP ersetzen kann […] und ob Emojis, die ein Nomen ersetzen, tatsächlich referentiell gebraucht werden“ (Z. 90-93). Zur Klärung der Fragen werden „experimentell erhobene Daten“ (Z. 87-88) genutzt, die der Verfasser offenkundig als Alternative zu Korpora auffasst. Bereits an dieser Stelle muss die Frage nach dem Datenverständnis erlaubt sein. Meint der Verfasser mit „Daten“ die selbstkonstruierten Sätze, über die von vornherein introspektiv Akzeptabilitätsurteile gefällt werden? Falls ja: Inwieweit wurden diese erhoben? Oder stellen die auf Basis eben jener Beispiele erhobenen Urteile der Befragten die Daten dar? Dann stellt sich die Frage, inwieweit man hier von einem experimentellen Vorgehen – m.E. handelt es sich um eine Befragung – sprechen kann, selbst wenn das Design („lateinisches Quadrat“) durchaus anspruchsvoll ist. Letztlich fußen die Ergebnisse der Studie auf den Bewertungen von 68 Teilnehmenden, deren Antworten mit recht aufwendigen statistischen Verfahren ausgewertet wurden. Die vor diesem Hintergrund gewonnenen Ergebnisse sind ob der statistischen Zahlen zwar nachvollziehbar, bleiben aber insofern fragwürdig, als sie auf ganz bestimmten Grundannahmen aufbauen, die im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand „Emojis“ m.E. unangemessen sind. Dies soll im Folgenden kurz erläutert werden.
a) Anlass und Ausgangspunkt der Studie sind augenscheinlich fünf deutschsprachige Publikationen, in denen die Bezeichnung „Referenzfunktion“ in irgendeiner Weise aufscheint. Daran ist mindestens zweierlei bemerkenswert. Erstens wird – außer bei Schlobinski/Watanabe 2003, die die gewählte Benennung nicht weiter erläutern – von allen referierten AutorInnen im Zusammenhang mit der sog. Referenzfunktion betont, dass Emoji-Verwendungen es ermöglichen, auf ganze Klassen von Entitäten zu verweisen, aber eben auch Differenzierungen zulassen, die – im Zusammenhang mit den sie begleitenden Äußerungen und Aktivitätstypen – in gewisser Weise die Referenz auf Individuen ermöglicht. M.a.W.: Die Probleme, die sich auf der Bezeichnung „Referenzfunktion“ ergeben, sind bereits bekannt. Deswegen wird auch die Bezeichnung „Darstellungsfunktion“ präferiert. Zweitens weisen alle einbezogenen AutorInnen darauf hin, dass diese Gebrauchsweise nur recht selten vorkommt. Darüber hinaus hätte man für den vorliegenden Beitrag erwarten dürfen, dass auch die internationale Emoji-Forschung in den Blick genommen wird, zumal es dort eine Reihe von Untersuchungen gibt, die ebenfalls mit Befragungen arbeiten – allerdings in den meisten Fällen zu authentischen Daten, womit ich beim zweiten Kritikpunkt wäre.
b) Für VertreterInnen systemlinguistischer Provenienz ist es selbstverständlich, Sprache in Form von Beispielen zu konstruieren. Auf diese Weise können nämlich „Performanzfehler oder idiosynkratische Eigenheiten“ (Z. 85) ausgeschlossen werden. Aus einer sprachgebrauchsorientierten Perspektive sind sowohl Vorgehensweise als auch die Auffassung des defizitären Sprachgebrauchs freilich hochproblematisch. Das zeigt sich auch in den im zu besprechenden Beitrag präsentierten Konstruktionen. Im Großen und Ganzen sind die Beispiele so konstruiert, dass a) Vorhersagen – die ja auch gemacht werden – auf der Hand liegen und b) die Frage nach dem Realitätsbezug gestattet sein muss. Das gilt sowohl für die Beispiele als auch für die bereitgestellten „mögliche[n] Übersetzungen“ (Z. 333). Darob ist die den ProbandInnen gestellte Aufgabe, derlei Beispiele „auf ihre Natürlichkeit hin zu bewerten“ (Z. 172), recht absurd. Darüber hinaus sind die vom Verfasser intendierten Beurteilungen hinsichtlich Akzeptabilität höchst zweifelhaft. So sagt mir meine langjährige Beschäftigung mit authentischen Daten, dass das Beispiel (7) sehr wohl denk- und interpretierbar ist. Ebenso scheinen mir die Antwortmöglichkeiten in Experiment 2 bereits im Vorhinein auf die ‚richtige‘ Antwort hin konzipiert worden zu sein. So ist jeweils die zweite Antwort, wenn man die Beispiele kontextlos bereitstellt, sprachgebrauchsfremd, und die dritte – „Das ist unnatürlich.“ – entbehrt jeglicher Klarheit. Was genau heißt denn „unnatürlich“? So ist für jemanden, der/die keine Emojis verwendet, allein der Gebrauch der kleinen Bildzeichen unnatürlich. Auch die in der Einleitung präsentierten Beispiele werfen einige Fragen auf. So wird Beispiel (4) konstruiert um zu beweisen, dass Emojis keine durch Adjektive attribuierte Nomen ersetzen könnten, obwohl man ebenso gut auch Kontexte erfinden könnte, in denen bestimmte Emojis etwa auf einen roten Apfel oder eine schwarze Katze hindeuten könnten und somit es eben auch möglich zu sein scheint, eine „durch ein Adjektiv modifizierte Struktur“ (Z. 60-61) zu ersetzen. Derlei Fragen würden sich nicht stellen, wenn auf authentische Daten zurückgegriffen worden wäre, zumal mit der MoCoDa 2 sowie mit What’s up, Switzerland? zwei öffentlich zugängliche Korpora vorliegen, die freilich nicht nur eine große Menge an Daten, sondern auch eine große Anzahl an „Performanzfehlern“ bereithalten. Davon abgesehen zeigen die dort auffindbaren Korpusdaten aber noch etwas, nämlich, wie Interaktion im Allgemeinen und Referieren in Interaktionen im Besonderen funktionieren, womit ich beim dritten Punkt wäre.
c) Zentrale Begriffe (insbesondere der der Referenz) werden im Beitrag weder erläutert noch einer Literaturdiskussion unterzogen. Stattdessen wird postuliert, dass in der Regel nur definite DPs referieren und daraus der Schluss gezogen: Da Emojis keine DPs ersetzen können, können sie nicht referieren und somit ist „der Begriff ‚Referenzfunktion‘, zumindest wenn es um Emojis geht, die Nomen ersetzen, nicht angebracht“ (Z. 398-400). Das ist ob des zu Grunde gelegten Referenzbegriffs nicht überraschend. Aber: Ist nicht gerade im vorliegenden Gegenstandsbereich genau diese Referenzauffassung völlig unangemessen? So wird außerhalb einer streng sprachsystembezogenen Linguistik die Auffassung vertreten, dass Referenzbezüge nicht durch kontextunabhängige sprachliche Zeichen(ketten) bewerkstelligt werden, sondern durch die ZeichenverwenderInnen. Insbesondere in Interaktionen, seien sie mündlich oder schriftlich, ist Referenz ein kollaborativer Aushandlungsprozess, der unaufhebbar mit der jeweiligen Kommunikationssituation zusammenhängt. Lässt man den Kontext außer Acht, kann man kaum Aussagen darüber treffen, inwieweit Referenz funktioniert, denn Referenzhandlungen sind immer an die jeweilige Situation gebunden. D.h. Referenz ist eben kein statischer Objektbezug durch definite DPs, sondern ein eingespielter Prozess, in dem die Interagierenden darauf bauen, was sprachlich und sequenziell vorausgegangen ist und was im wechselseitig unterstellten Hintergrundwissen zum aktuellen Diskursthema verfügbar ist. Das gilt für sprachliche Bezugnahmen ebenso wie für piktorale. Bei Letzteren treten jedoch noch einige Besonderheiten hinzu. Das liegt daran, dass Emojis in einem ganz generellen Sinne nichts weiter als kleine Bildzeichen sind. Als solche zeichnen sie sich durch einen Bedeutungsüberschuss und Vagheit aus und eröffnen recht weite Interpretationsspielräume. Somit sind sie auch von vornherein unbestimmt in ihrem referenziellen Bezug. Das Spektrum möglicher Lesarten und damit auch möglicher Referenzbezüge wird aber durch die kontextuelle Einbettung (sprachlich, sequenziell, wissens- und vertrautheitsbasiert) eingeschränkt, sodass sich solche Fragen wie in der vorliegenden Untersuchung im Gebrauch höchst selten stellen. Vielmehr orientieren sich Interagierende in der Regel an der für die jeweilige Situation plausibelsten Interpretation, was in den meisten Fällen wohl auch funktioniert.
Neben dem zugrunde gelegten Referenzbegriff wirkt auch die Annahme fragwürdig, dass Emojis „als Proform zur Ersetzung einer Phrase“ (Z. 108) verwendet würden. Ungeklärt bleibt hier, in welcher Bedeutung „Proform“ gebraucht wird. Üblicherweise werden mit Pro-Form pronominale Ausdrücke bezeichnet, die als Suchanleitung auf Vor- oder Nacherwähntes fungieren und erst nach Bestimmung der Bezugsausdrücke referieren können. Bisweilen leisten das auch Emojis. In den konstruierten Beispielen aber nicht, sodass hier wohl ein anderes Verständnis von Pro-Form zugrunde liegt.
d) Auch in formaler Hinsicht weist der Artikel verschiedene Mängel auf. Bei Verweisen auf Forschungsliteratur fehlen teils die genauen Seitenangaben (Z. 34, 37, 38, 214). Sprachlich sollte Fußnote 1 noch einmal überprüft werden.
Unter Berücksichtigung der verschiedenen Kritikpunkte empfehle ich, den Artikel nicht für eine Publikation in der jfml anzunehmen (Rückgabe und Empfehlung für Neueinreichung in einer anderen Zeitschrift). Damit wird keinesfalls behauptet, dass es nicht reiz- und sinnvoll ist, sich aus einer systemlinguistischen Perspektive mit dem besprochenen Thema zu beschäftigen. Jedoch zeigen Vorgehensweise und die daraus gewonnenen Ergebnisse des vorliegenden Beitrags, dass – vor allem, wenn man Sprachgebrauch von vornherein als defizitär etikettiert – eine solche Herangehensweise der sprachlich-kommunikativen Praxis nicht gerecht wird.
Gutachten von: Tatjana Scheffler
Empfehlung: Beitrag ablehnen
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