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Blogstract zu
Online-Kommentieren untersuchen. Korpusbasierte Konstruktionsgrammatik trifft auf Digitale Konversationsanalyse
von Marie-Luis Merten
Inhalte im Internet – sei es auf Facebook, Twitter, Instagram, YouTube usw. – zu kommentieren, sich auf diese Weise als sozialer Akteur in der konstruierten Online-Welt zu positionieren und so Zugehörigkeit zu wie auch Abgrenzung von anderen zum Ausdruck zu bringen, ist eine Schlüsselpraktik des digitalen Alltags (Barton/Lee 2013: 31). Dabei konzentriert sich der vorliegende Beitrag auf das Kommentieren von Online-Gesundheitsnews. Untersuchungsgrundlage bildet ein 1,02 Mio. Tokens umfassendes Korpus, das sich aus 10.459 User-Kommentaren zu 91 Nachrichtenbeiträgen auf Spiegel.de und Zeit.de aus dem Zeitraum von 2013 bis 2018 zusammensetzt. In Online-Kommentaren als eine reaktive Kommunikationsform zwischen interaktions- und textorientiertem Schreiben werden sowohl die jeweiligen journalistischen Ausgangsartikel und bereits veröffentlichte Kommentare als auch (re)konstruierte Diskurspositionen aufgegriffen, um eigene Meinungsbeiträge zu verfassen. Digitales Kommentieren wird in diesem Zusammenhang als Stancetaking verstanden: Prozeduren (1) des Evaluierens von (konstruierten) Objekten/Inhalten, (2) der Selbst- und Fremdpositionierung sowie (3) des Alignments (= Ausrichten mit Blick auf vorangehende Kommunikationsbeiträge) gehen ineinander über (Du Bois 2007: 163). Entsprechend diskursiv-psychologischer Annahmen (Edwards/Potter 1992) rückt das Konstruieren von diskursiv erzeugten und geprägten Einstellungen, Motiven und Positionen in den kommunikativen Vordergrund.
Im Zuge des theoretisch-methodologischen Groundings diskutiert der Beitrag wiederkehrende Verfahren des sprachlichen Positionierens, die sich im Korpus in Form von lexikogrammatischen Mustern abzeichnen, als (komplexe) Stance-Konstruktionen. Diese pragmatisch-situativ geprägten Form-Funktionskopplungen sind wesentliche Ressourcen des reflexiven Positionierens und des Aushandelns von Inhalten, Wissensbeständen, Meinungen etc. in der sequenziell organisierten Online-Interaktion. Für die Gestalt der jeweiligen Konstruktionen spielen auch technologische Affordanzen, verschiedene Grade an Interaktivität und weitere Unterschiede, die sich zwischen Spiegel.de und Zeit.de auftun, eine entscheidende Rolle. Als construal-Techniken (Langacker 2008) lassen sich mit jenen Konstruktionen verschiedene Perspektiven im Positionierungsdiskurs entwerfen und unterschiedliche Aspekte (der jeweiligen Debatte etwa) in den Vordergrund/Hintergrund rücken.
Aufbauend auf diesem theoretisch-methodologischen Grounding unterbreitet der Beitrag einen konkreten Vorschlag für ein mixed methods-Vorgehen, um Positionierungs-Konstruktionen im digitalen Untersuchungskontext aufzudecken. Anhand von Beispielanalysen wird ein Einblick in das methodologisch-integrative Arbeiten zwischen korpusbasierter Konstruktionsgrammatik und Digitaler Konversationsanalyse gegeben. Miteinander kombiniert werden folglich die horizontale und die vertikale Analyse des zugrundeliegenden Kommentar-Korpus, beispielsweise um reflexive Konstruktionen (als Ressourcen beobachtbarer Aufzeigepraktiken) zu erfassen, die der Zuweisung von Lesart(en) zu vorausgehenden Kommentaren dienen, aber auch um CEEs (konstruktionsevozierende Elemente) zu identifizieren, die für das Zusammenstellen von kwic-Listen (mit potentiellen Konstrukten zu Stance-Konstruktionen) genutzt werden können. Jene kwic-Listen sind wiederum unter Berücksichtigung umfassender Kontexte zu analysieren.
Barton, David/Lee, Carmen (2013): Language online. Investigating Digital Texts and Practices. London, New York: Routledge.
Du Bois, John W. (2007): The stance triangle. In: Englebretson, Robert (Hg.): Stancetaking in Discourse. Subjectivity, evaluation, interaction (Pragmatics & Beyond New Series, 164). Amsterdam: John Benjamins, 139-182.
Edwards, Derek/Potter, Jonathan (1992): Discursive Psychology (Inquiries in Social Construction Series). London u. a.: SAGE. Langacker, Ronald W. (2008): Cognitive Grammar. A basic introduction. New York: Oxford University Press.
Gutachten von Wolfgang Imo
Das Gutachten orientiert sich zunächst chronologisch am Aufbau des Artikels, ich werde Punkte jeweils mit Angabe der Zeilennummern nennen. Eine abschließende Einschätzung folgt am Ende.
19-27: Die „Zitatenreihe“ ist etwas unglücklich gewählt: 19 endet mit Bucholtz/Hall und Deppermann, das Zitat ist dann aber von Zappavigna, die wiederum Martin and White zitieren. Hier wäre eine klarere Struktur sinnvoll.
37: Komma nach „Hintergrund“
61-71: Hier werden die Ziele genannt: Ein erstes Ziel besteht darin „Muster bzw. Konstruktionen des digitalen Positionierens aufzudecken“. (62-63). Das zweite Ziel besteht in der „angemessenen theoretischen Fundierung des Gegenstandes sowie das Verständnis von empirischer Angemessenheit uns Sättigung.“ (66-68) Das dritte Ziel besteht darin, „anhand von Korpusausschnitten ein (konrketes) methodisches Vorgehen im medienlinguistischen Untersuchungskontext vorzustellen.“ (70/71) Es wird abschließend zu klären sein, ob und inwieweit diese Ziele eingelöst wurden.
In Z. 64 folgt eine sehr mangelhafte Korpusbeschreibung (10.459 Kommentare mit 1.02 Mio Tokens zu 91 Gesundheitsartikeln). Im Vorgriff kann gesagt werden, dass dies alle Informationen sind, die man über das Korpus erhält. Das ist nicht nur in Betracht der vollmundigen Ankündigung korpusbasiert (!) und konversationsanalytisch arbeiten zu wollen, nicht nachvollziehbar und ermöglicht keine belastbaren Analysen. Auch ist (s.o.) unklar, mit welchen Korpusausschnitten (und warum mit genau diesen) das Vorgehen illustriert werden soll.
In Z. 62 zeigen sich Unklarheiten im Gebrauch der Terminologie: „Muster bzw. Konstruktionen“. Da der Beitrag sich ja auf CxG bezieht, müssen die Begriffe entsprechend eindeutig verwendet werden.
83-88: Hier fehlen Literaturverweise. Was ist die „korpusbasierte Konstruktionsgrammatik“? Soll das eine eigene Richtung sein? Oder einfach ein schmückendes Beiwort für Konstruktionsgrammatiken generell? Worin unterscheidet sie sich von korpusgestützter CxG? Welche Vertreter werden dabei relevant gesetzt?
Gleiches gilt für „Digitale Konversationsanalyse“: Dieser Begriff ist nicht gängig, (eine „Digitale Diskursanalyse“ ließe sich dagegen finden (www.digitalhumanitiescooperation.de/wp-content/uploads/2018/03/p05_mueller_de.pdf). Hier fehlen Literaturangaben zur Einordnung, was damit gemeint sein soll.
118: Wieder unklarer Begriff: Was genau sind „Musterbildungen“ im gegebenen Kontext von „korpusbasierter Konstruktionsgrammatik und Digitaler Konversationsanalyse“? Wie werden solche Muster im Korpus erkannt?
123-125: es bleibt unklar, was mit „gebrauchsbasiert“ genau gemeint ist und wie dieser neue Aspekt der Gebrauchsbasiertheit nun mit der zuvor genannten Korpusbasiertheit zusammenhängt.
132-133: zur multimodalen CxG in jedem Fall Schoonjans anführen.
136-143: Hier wieder unklare Terminologie: „Konstrukte“ (136), dann aber „Konstruktionen“, die sich „im Korpus als Sprachgebrauchsmuster“ abzeichnen. Wie hängt das alles zusammen?
165: Hier wird nun noch eine neue Frage aufgeworfen: „Wann beginnt eine Konstruktion (im Korpus)?“ Vorausgreifend kann man sagen, dass diese Frage weder in der Folge behandelt wird, noch dass das auch auf der Basis des nicht vorgestellten Korpus überhaupt möglich wäre.
181: Wieder sehr holprig und unklar: „Welche Belege/Strukturen hier als potentielle Konstrukte einer Form-Funktionskopplung gelten können…“ Verstehe ich nicht.
217-218: Aussage, dass die Grammatik „in Form von indexikalisch aufgeladenen Konstruktionen contextualization cues“ bereit halte. Was soll das bedeuten? Wie lädt man eine Konstruktion (also ein Symbol) indexikalisch auf? Kommt das zur Konstruktion hinzu? Oder wird es Teil der Konstruktion (und dann zum Symbol)?`
Zwischenfazit zu Kapitel 2.1.: Die Darstellung ist extrem oberflächlich, die Begriffe sind unsauber und kaum definiert, eine Klärung und Konkretisierung einer korpusbasierten Konstruktionsgrammatik findet sich dort nicht.
Zu guter Letzt kommt nun auch noch eine neue Unklarheit hinzu: Ab Z. 222 beginnt der Aspekt von Positionierungen, der bislang noch keine Rolle spielte, auf einmal zentral zu werden. In dem Zusammenhang wird dann das Konzept des Diskurses eingeführt und mit Giles et al./Meredith Potter Vertreter „digital-konversationsanyltischer Provenienz“ genannt (mit dem Versuch einer Darstellung bis Z. 256). In diesem Absatz werden willkürlich und unsystematisch irgendwelche Vertreter aus Interaktionsanalyse, Diskursanalyse und Konversationsanalyse genannt, es bleibt unklar, wie dieser Ansatz aussieht. Einschlägige Arbeiten wie von Herring (computer-mediated discourse analysis) oder Beißwenger (Anwendung und kritische Evaluierung konversationsanalytischer Konzepte auf interaktionale Schriftdaten) werden völlig ignoriert. Hier sollte zunächst einmal das Forschungsfeld solide erarbeitet werden, um sich dann (auch im Vorausblick hochrelevant für die Analysen!) positionieren zu können (vgl. auch Imo/Lanwer 2019 mit dem Kapitel „Interaktionale Schriftlinguistik“ in der Einführung in die Interaktionale Linguistik, wo zentrale Stränge der interaktionsorientieren Analyse von computervermittelter Kommunikation dargestellt sind).
288: Der Plural von „Nomen agentis“ ist „Nomina agentis“.
289-291: Es wird behauptet, dass die Fremdkategorisierungen in den genannten Beispielen durch die Nomina agentis erzeugt würden. Liegt die Kategorisierung nicht zu einem großen Teil an den vorangestellten attributiven Adjektiven?
Und wie verträgt sich die Präsentation kontextlosgelöster einzelner Belege mit einem konversationsanalytischen und korpusbasierten Zugang?
353: Da mit Ágel der Begriff „offline“ als Gegenstück zu Peter Auers „online“-Syntax geprägt wurde, ist hier „Offline“ gerade für Interaktion unpassend.
Es geht nun sehr lange und ausführlich um stance-taking, wieder ein neuer und unerwarteter Aspekt (der auch wieder nur sehr oberflächlich behandelt wird, sowohl was die Klärung von unterschiedlichen stance-Konzepten angeht als auch was ‚Kandidaten‘ für stance-Konstruktionen angeht (an der Stelle Z. 352) taucht ein Indiz auf, dass der vorliegende Beitrag offenbar ein Werkstattbericht eines laufenden Projekts ist. Wenn das der Fall ist, sollte das auch explizit klargemacht werden.
414: Mit Kapitel 2.3. „Stance-Konstruktionen als construal-Techniken“ taucht nun schon wieder ein neuer Aspekt auf, es werden nun Bezüge zur kognitiven Grammatik hergestellt. Wieder werden in einer Art und Weise, die aber auch überhaupt nichts mit solider konversationsanalytischer oder interaktionsanalytischer Arbeit zu tun hat, kontextfrei Beispiele präsentiert. Dank der mangelhaften Korpusmethodik kann man auch nicht sagen, ob das wenigstens korpusbasierte Analysen waren oder ob die Belege nicht eher (so scheint es beim Lesen) als passende Illustrationen einer vorab aufgestellten Hypothese verwendet wurden (korpusgestützte Analyse; s.u.).
524-526: Hier wird von ausreichend großer Datenbasis und empirischer Sättigung sowie von kontextsensitiver und systematischer Analyse gesprochen. Von nichts davon war bislang etwas zu lesen (und, im Vorgriff: wird auch nicht zu lesen sein).
540: sehr abrupt wird auf einmal auf Sperrsätze fokussiert (ein eigenes Kapitel wäre hier sinnvoll gewesen). Ohne dass man weiß, wie das geschehen ist, wird behauptet, dass sich „im Zuge der Korpusanalyse (komplexe) formale Muster ausmachen“ lassen, „die vor allem an epistemisches bzw. epistemisch-affektives Positionieren gekoppelt sind.“ Wie wurde das methodisch im Korpus ausgemacht? Wie wurde gesucht? Wie wurde epistemisches bzw. epistemisch-affektives Positionieren definiert? Erneut findet sich auch wieder nur eine kontextfreie Liste, die noch nichteinmal die volle Satzstruktur enthält, sondern nur den ersten Teil (den was-Satz). Mit Konversationsanalyse hat dies nichts zu tun.
Im der Folge (Beispiele n und m) werden dann zumindest größere Auszüge genannt, allerdings mit sehr dünner Analyse. Man wundert sich, wieso Aspekte der Projektion nicht diskutiert werden, die für die mündliche Struktur bei Sperrsätzen ja zentral ist und sich bei linearen Grammatikmodellen (z.B. Sinclair/Mauranens Linear Unit Grammar) auch auf geschriebene Sprache übertragen ließen. Mit der „space building“-Analyse wird ein kognitivlinguistischer Erklärungsansatz herangezogen, kein konversationsanalytischer.
596: Wieder ein abrupter Wechsel und nun werden die Mängel offenbar selbst erkannt, denn es wird nun gefordert, auch den „(gesamten) interaktionalen, sequenziellen Kontext zu berücksichtigen“. Pikanterweise wird dies mit einer aus dem Kontext herausgelösten Ausschnitt illustriert. In der Folge (ab Z. 615) werden dann eher programmatische und allgemeine Forderungen nach einer stärker die Reflexiviät und Aufzeigepraktiken berücksichtigende Analyse genannt, keine Analyse durchgeführt. Diese allgemeinen Darstellungen gehören eher in den Theorieteil, nicht in die Analyse.
In der weiteren Folge werden nun immer wieder eine kontextfreie Belege angeführt mit einigen Aussagen darüber (Analysen würde ich das nicht nennen, zumal keine erkennbaren Bezüge zu Konversationsanalyse oder Konstruktionsgrammatik vorliegen).
708: Hier folgt ein zweiter Indikator, dass der Artikel womöglich ein erster Projektbericht ist und es noch an den nötigen Ergebnissen fehlt.
760 ff.: Sehr dünne Literatur! Hier sollte zunächst einmal der Stand der Forschung aufgearbeitet werden. In dem Feld gibt es bereits einiges an Forschung. Der Artikel suggeriert, hier Neuland zu betreten, was nicht der Fall ist.
Dies knüpft auch an das Gesamtziel des Artikels an und leitet meine abschließende Einschätzung ein:
Die eingangs genannten Ziele (Z. 61ff.) werden nicht umgesetzt. Der Artikel scheint eher auf eine Art programmatisches Plädoyer für konversationsanalytisch und konstruktionsgrammatisch motivierte Analysen von Online-Kommunikation zu sein, ignoriert dabei aber fast alle relevante Forschung, die zeigt, dass diese Kombinationen schon auf der Hand liegen: Die konversations- und interaktionslinguistische Analyse von Schriftinteraktion hat bereits eine lange Geschichte; erneut sei auf die Darstellung in Imo/Lanwer 2019 verwiesen). Die Kombination von Konstruktionsgrammatik und Konversationsanalyse (hierzu exemplarisch Deppermann 2006 und 2011[1]) oder Interaktionaler Linguistik (vgl. Imo zu „Interaktionaler Konstruktionsgrammatik“) hat ebenfalls eine lange Tradition und in diesen Ansätzen wird nicht auf mediale Mündlichkeit fokussiert, sondern auf Interaktion, so dass Schriftinteraktion mit abgedeckt wird. Ein programmatischer Ansatz müsste also neue Aspekte lokalisieren.
Auf der anderen Seite erscheinen immer wieder Analyseversuche, die aber zu wenig den selbst gesetzten methodisch-theoretischen Prämissen genügen und zu unstrukturiert sind. Auch der im Abschluss genannte „konkrete Vorschlag für ein (mögliches) methodisches Vorgehen, um Positionierungs-Konstruktionen im digitalen Untersuchungskontext aufzudecken“ (ein Ziel, das anfangs so noch nicht genannt war) wird nicht erreicht.
Ein zentraler Mangel ist darüber hinaus das Fehlen der Korpusbeschreibung. Die einzige Aussage darüber findet sich in Z. 64-65 (10.459 Kommentare mit 1.02 Mio Tokens zu 91 Gesundheitsartikeln). Offen bleibt: Welche Artikel? Wie wurde das Korpus erstellt? Ist es in einer Datenbank verfügbar? Wie wird es durchsucht? Aufbereitet? Getaggt? Aus welchem Zeitraum? Wer hostet die Artikelseiten? Wer schreibt? Es fehlen alle Informationen, die für korpusgestützte geschweige denn korpusbasierte und noch wichtiger für konversationsanalytische Zugänge notwendig sind.
Der Titel „korpusbasierte Konstruktionsgrammatik trifft auf Digitale Konversationsanalyse“ ist insofern irreführend, als die genannten Ansätze gar nicht stimmen (das Vorgehen erinnert eher an einen korpusgestützten Zugang, bei dem Belegquellen zur Illustration herangezogen werden, nicht an einen korpusbasierten, bei dem Kategorien aus den Daten heraus erarbeitet werden; zudem findet sich aus unklar verwendeter Terminologie (Konstruktion, Muster, Konstrukt) nur wenig Bezug auf konstruktionsgrammatisches konzeptuelles Inventar) oder nur am Rande (es fallen Begriffe aus der Konversationsanalyse, die allerdings nicht im Sinne der Konversationsanalyse aus fundierten, den Kontext / die sequentielle Einbettung / die interaktionale Verankerung berücksichtigenden Beschreibungen resultieren).
Zudem ist in der Überschrift nur die Unter-Überschrift (Korpusbasierte Konstruktionsgrammatik trifft auf Digitale Konversationsanalyse) wirklich aussagekräftig – wenn auch die Erwartungen, die dieser Titel weckt, wie oben angesprochen nicht geweckt werden, da es sich nicht um eine fundierte und systematische Diskussion einer Methoden- und Theoriekombination handelt. Der ‚eigentliche‘ Titel „Online-Kommentieren untersuchen“ ist dagegen sehr wenig aussagekräftig. Im Kern stehen ja Positionierungen im Fokus, das sollte dann entsprechend auch im Titel klargemacht werden.
Der Beitrag erscheint wie ein Werkstattbericht, in dem erste Ideen zu einem Forschungsprojekt relativ unsystematisch präsentiert werden. Das JFML ist dafür der falsche Ort, eine Projekthomepage würde reichen. Um publikationswürdig zu werden, muss (i) geklärt werden, was denn nun an Theorien verwendet werden soll (Konversationsanalsye, Konstruktionsgrammatik, Stance-Analyse, kognitive Linguistik/Construal, Positionierungsanalyse?). Diese Theorien müssen entsprechend dann auf dem aktuellen Stand auch rezipiert werden. (ii) Der methodische Zugriff muss geklärt werden: Korpusbeschreibung, Umgang mit dem Korpus; Klärung, ob nun wirklich korpusbasiert gearbeitet wird; Klärung, ob wirklich konversationsanalytisch gearbeitet wird. (iii) Welche Phänomene für eine Analyse herausgegriffen werden. Und diese Phänomene müssen dann auch unter Bezugnahme auf die gewählten Ansätze untersucht werden.
Einen Aufsatz, in dem beispielsweise tatsächlich ein „konkreter Vorschlag für ein (mögliches) methodisches Vorgehen, um Positionierungs-Konstruktionen im digitalen Untersuchungskontext aufzudecken“ geliefert wird oder einer, in dem bei nachvollziehbarer Darstellung des methodischen Vorgehens und bei Berücksichtigung der selbstgewählten Theorien Analysen von Positionierungs-Konstruktionen durchgeführt würden, könnte ich mir durchaus publikationswürdig vorstellen. Die vorliegende Form ist aus den oben genannten Mängeln aber klar nicht publikationswürdig.
[1] Deppermann, Arnulf (2006): Construction Grammar – Eine Grammatik für die Interaktion? In: Deppermann, Arnulf/Fiehler, Reinhard/Spranz-Fogasy, Thomas (Hrsg.): Grammatik und Interaktion. Untersuchungen zum Zusammenhang von grammatischen Strukturen und Gesprächsprozessen. Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung, 2006. S. 43-65.
Deppermann, Arnulf (2011): Konstruktionsgrammatik und Interaktionale Linguistik: Affinitäten, Komplementaritäten und Diskrepanzen. In: Lasch, Alexander/Ziem, Alexander (Hrsg.): Konstruktionsgrammatik III. Aktuelle Fragen und Lösungsansätze. (= Stauffenburg Linguistik 58). Tübingen: Stauffenburg, 2011. S. 205-238.
Gutachten von Alexander Lasch
Der Artikel nimmt Stance-Konstruktionen in den Blick mit dem Fokus auf ein interaktionales Setting (Forenkommunikation).
Kritik: [1] Die Verfasserin identifiziert Konstrukte als verfestigte Sprachgebrauchsmuster, deren kommunikative Relevanz sie analysiert. Die Beschreibung dieser Konstrukte als Konstruktionen hingegen kommt etwas zu kurz. [2] Es wird nirgendwo erläutert, warum sprachliche Einheit X ein CEE ist – hier setzt die Verfasserin einfach, ohne etwa semantisch und/oder formal ähnliche Konstruktionen abzugrenzen. Da ich die Debatte um CEEs kenne und auch an den Diskussionen beteiligt bin, möchte ich behaupten, dass die Schwierigkeiten darauf beruhen, dass noch nicht klar ist, wie die gebrauchsbasierte KxG CEEs identifizieren will. Im Artikel sind dann auch Einzelwörter „als“ oder „was“ CEE, aber auch „es ist X, dass“. Wie komplex können CEEs sein? Wie identifiziert man CEEs, ohne aus der Beobachtung von Konstrukten auf die Ebene der Beschreibung von Konstruktionen gewechselt zu haben? Ist die Adapation der FEEs überhaupt relevant für die Beschreibung von Stance-Konstruktionen? [3] Die Leser:innenführung könnte besser sein. So wird nicht immer klar, ob nun ein Beispieldatensatz zur Plausibilisierung etwa der Methode herangezogen wird, oder ob man sich bereits mitten in der Beschreibung von Stance-Konstruktionen wiederfindet.
Der Beitrag wird nach Überarbeitung zur Publikation empfohlen. Grundsätzlich sollte die Verfasserin die Frage für sich entscheiden, ob Sie CEEs als Analysekategorie setzen will, oder ob es ihr nicht eher Anliegen ist, an der Modellierung von CEEs mitzuarbeiten und zu prüfen, ob das Konzept trägt. Das wäre auch beim gegenwärtigen Stand der Forschung eher angeraten. Für den Analysegegenstand ist diese Entscheidung unerheblich, man kann auch mit lexikalisch teilweise spezifizierten Konstruktionen arbeiten, ohne CEEs identifizieren zu müssen. Grundsätzlich ist das Thema gut gewählt und sehr interessant – man darf sich auf die Untersuchungen freuen.
Alexander Lasch
Anmerkung der Redaktion:
Diese Einreichung wurde von einem Gutachter mit der Bitte um gründliche Überarbeitung zur Veröffentlichung empfohlen. Ein Gutachter hat den Artikel nicht zur Veröffentlichung empfohlen. Auf Grundlage der sehr detaillierten und aus unserer Sicht gut umsetzbaren Hinweise aus beiden Gutachten haben wir die Autorin um eine gründliche Überarbeitung der Einreichung gebeten. Die Autorin hat entschieden, diese Möglichkeit nicht in Anspruch zu nehmen, sondern zu gegebener Zeit einen neuen Artikel einzureichen.